Spuren geistiger Väter der Region (Teil 3):

Die Glaubensflüchtlinge kamen im Jahre 1699 nach Deutschland

Waldenser brachten auch Maulbeerbäume mit

ÖTISHEIM-SCHÖNENBERG.
Vor 300 Jahren: In Ötisheim lebten noch gerade mal 50 Bürger, 128 Höfe waren herrenlos und große Teile der Feldflur lagen verwildert da. Der Dreißigjährige Krieg, Pest und Franzoseneinfälle hatte in Württemberg ganze Dörfer entvölkert. Da erschienen mit Billigung des jungen Herzogs Eberhard Ludwig im Mai 1699 etwa 2000 Waldenser in Dürrmenz.

Auch wenn sie sich im Lauf der vergangenen drei Jahrhunderte in unsere Kultur und Gesellschaft integriert haben, so sind bis heute interessante Mitbringsel dieser französischen Glaubensflüchtlinge nicht nur in der Kirchen-, sondern auch der Regionalgeschichte erhalten geblieben.

1698 vertrieben

Diese Waldenser wurde 1698 aus dem französischen Teil der Cottischen Alpen vertrieben. Ihre Treue zur Bibel, insbesondere ihr nach der Bergpredigt gelebter Glaube nach dem Vorbild der ersten Apostel und ihr Anschluss an die Genfer Reformation fand keinen Gefallen beim andersgläubigen König von Frankreich, Ludwig XIV. Aus Glaubensgründen mussten die Anhänger der bis auf Petrus Waldes ins Jahr 1176 zurückgehenden Gemeinschaft ihre Heimat verlassen. Der französische General Melac, der auch in unserer Region Dörfer in Schutt und Asche legte, bekämpfte auch die Waldenser in den Alpen.

Namen der Heimatorte

In Württemberg, der Markgrafschaft Baden-Durlach und auf hessischem Territorien fanden sie Zuflucht. Sie durften das verwüstete Land bebauen und Dörfer wie Corres, Groß- und Kleinvillars, Perouse, Pinache, Sengach, Serres oder Lucerne bei Wurmberg gründen. Diese wurden nach den verlassenen, französischen Heimatorten benannt.
Um das Jahr 1700 entstand die Waldensersiedlung Schönenberg. Anfangs nannte man es noch „Des Muriers", also „Bei den Maulbeerbäumen". Tatsächlich finden sich um Schönenberg heute noch etwa vier Maulbeerbäume. Solche Bäume brachte der Waldenserführer Henri Arnaud aus seiner Heimat mit und pflanzte sie auf einem noch heute bekannten Maulbeerfeld am Sauberg. Ein Maulbeerbaum wächst heute auch im Hof des Arnaud-Hauses. Arnaud baute im Jahre 1701/02 ein Wohngebäude, in dem heute das Deutsche Waldensermuseum untergebracht ist. Auch ein Maulbeergässchen erinnert an die Pflanzungen der Waldenser sowie die daran geknüpfte Seidenraupenzucht, die jedoch erfolglos blieb. Herzog Eberhard Ludwig hatte sich von den Religionsflüchtlingen einen Aufschwung für die Seidenindustrie erwartet. Dafür war aber der Tabakanbau durch die Waldenser in der Rheinebene um so erfolgreicher.

Neues auf dem Speiseplan

Einen großen Einfluss, der auch noch bis heute anhält, übten die als fleißig geltenden französischen Glaubensflüchtlinge auf den hiesigen Speiseplan. Sie brachten Luzerne und Kartoffel aus Frankreich mit. Vom ehemaligen Pfarrgarten Henry Arnauds fand die Kartoffel ihre Verbreitung in Württemberg. Arnaud hatte die Früchte von Anton Seignoret erhalten. Seignoret siedelte 1701 nach Neubärental (bei Wurmberg) über, seine in Frankreich verbliebene Verwandten schickten ihm 200 der Knollengewächse. Der hierfür maßgebliche Brief liegt heute nicht mehr vor, so dass diese Version nicht belegt ist.
Vom Schönenberger Pfarrgarten begann jedenfalls dann der Siegeszug der Erdfrucht in ganz Württemberg. Wenngleich nicht der erste Anbau im Südwesten in Schönenberg erfolgte, so erreichte die Kartoffel doch ihre allgemeine Verbreitung von dieser Waldenserkolonie aus.

Von dem Ötisheimer Teilort aus unterstützte der Prediger Arnaud den Aufbau seiner Kirchengemeinde. 100 Jahre später, im Jahre 1823, schlossen sich die Waldenser der evangelischen Kirche an. An der einen oder anderen alten Holztür dieser Waldenserortschaften erinnert die Inschriften „Das Licht scheint in der Finsternis" (Lux lucet in tenebris, Joh. 1,5) an das konsequente und selbstlose Glaubensleben dieser Christen.

Von Fritz-Gerhard Link,
entnommen aus Pforzheimer Zeitung, Ausgabe 02.11.2001